AG Hechingen, Az.: 2 C 463/11, Urteil vom 02.02.2012
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 2.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Rückzahlung des Kaufpreises nach Rücktritt wegen behaupteter Mängel an dem von ihr vom Beklagten erworbenen Fahrzeug.
Die Parteien schlossen am 15.11.10 einen Kaufvertrag über einen 12 Jahre und 8 Monate alten Renault Twingo für einen Kaufpreis von 1500 €. Am gleichen Tag wurde das Fahrzeug noch an die Klägerin übergeben und der Kaufpreis bezahlt. Mit Schreiben vom 28. Juni 2011 wurde der Beklagte zur Nacherfüllung wegen von der Klägerin behaupteter Mängel aufgefordert. Eine Nacherfüllung erfolgte nicht, sodass mit Schreiben vom 29. August 2011 der Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt wurde. Das Fahrzeug befindet sich bei der Klägerin.
Die Klägerin trägt vor, das Fahrzeug habe bereits bei Übergabe folgende Mängel aufgewiesen: defekte Bremsbacken, Bremsscheiben, Bremszylinder, Lenkmanschette und Aggregatträger. Insbesondere der Zustand des Aggregatträgers sei gefährlich, da bei einer Kollision die Gefahr besteht, dass der Motorblock ins Fahrgehäuse eindringt und die Insassen verletzt.
Die Klägerin beantragt daher zuletzt:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1500 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13. September 2011 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs Renault Twingo mit der Fahrgestellnummer VF1C….
2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 186,24 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt die Klage abzuweisen.
Sie rügt die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Hechingen und trägt hilfsweise vor, bei den behaupteten Mängeln handele es sich um typische Verschleißerscheinungen, die keinen Mangel darstellen würden.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unzulässig.
A.
Das Amtsgericht ist örtlich nicht zuständig. Eine Zuständigkeit des AG Hechingen gem. § 13 ZPO oder § 21 ZPO scheidet aus, da der Beklagte seinen privaten Wohnsitz nicht im Gerichtsbezirk des AG Hechingen hat und seine Niederlassung sich in Stuttgart befindet. Eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Hechingen ergibt sich auch nicht aus § 29 ZPO, dem Gerichtsstand des Erfüllungsortes. Für die Bestimmung des Erfüllungsort iSd. § 29 ZPO kann auf § 269 I, II BGB zurückgegriffen werden. Missverständlich spricht das Gesetz hier vom Erfüllungsort. Hierbei ist jedoch der Leistungsort gemeint (vgl. BeckOK § 29 ZPO Rn. 18). Danach befindet sich der Erfüllungsort für den streitgegenständlichen potentiellen Kaufpreisrückzahlungsanspruch am Ort der Niederlassung des Beklagten, dem Schuldner. Ein einheitlicher Erfüllungsort des Rückabwicklungsschuldverhältnisses nach Rücktritt vom Kaufvertrag am Ort des Austauschortes, d.h. typischerweise am Ort der Belegenheit der Kaufsache besteht nicht.
I.
In Literatur und Rechtsprechung ist umstritten, ob im Fall der Kaufpreisrückzahlungsklage ein einheitlicher Erfüllungsort am Austauschort besteht.
1 Der weit überwiegende Teil der Rechtsprechung und Literatur geht von einem einheitlichen Erfüllungsort am dem Ort aus, an dem sich der Kaufgegenstand zum Zeitpunkt des Rücktritts befindet.
In der zivilprozessualen Kommentarliteratur wird dieses Ergebnis in der Regel unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1962 (BGH NJW 1962, 739) bzw. 1983 (BGH NJW 83, 1480) festgestellt (vgl. MüKo § 29 ZPO Rn. 62; Zöller § 29 ZPO Rn. 25 Stichwort Kaufvertrag; Musielak § 29 ZPO Rn. 28).
Auch die weit überwiegende Rechtsprechung, die sich mit dieser Thematik konfrontiert sieht, verweist auf die Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1983 und die jeweiligen Bezugnahme in der Literatur (so z.B. BayObLG Entscheidung vom 09.01.2004 – 1Z AR 140/03; OLG Saarbrücken NJW 05, 906; OLG Köln, Beschluss vom 28. März 2011, 3 U 174/10,)
2. Ein Teil der Rechtsprechung (LG Stralsund, Beschluss vom 13.10.2011 – 6 O 211/11; LG Krefeld MDR 1977, 1018-1019; AG Köln BeckRS 2009, 29 736) und Literatur (Stöber NJW 06, 2661 ff.) wollen jedoch die allgemeinen Regeln getrennt je nach Anspruch anwenden und lehnen einen einheitlichen Erfüllungsort des Austauschortes ab. Im Ergebnis liege der Leistungsort damit im Regelfall am Wohnsitz bzw. am Ort der Niederlassung des Schuldners.
3. Das Gericht schließt sich hier der Ansicht des LG Krefeld, des AG Köln, des LG Stralsunds und der Auffassung Stöbers aus folgenden Gründen an:
a) Der BGH hat in seiner „Dachziegel“-Entscheidung aus dem Jahr 1983 (BGH a.a.O.) die hier relevante Frage nicht entschieden (so auch LG Stralsund, Beschluss vom 13.10.2011 – 6 O 211/11; Stöber NJW 06, 2662, 2662). Der BGH nimmt zunächst nur zu einer besonderen Problemkonstellation Stellung, nämlich der Frage, ob dem Käufer ein Anspruch auf Rücknahme der mangelhaften Kaufsache zusteht. Diesbezüglich führt er aus, dass Erfüllungsort der Rücknahmeverpflichtung der Ort sei, an dem sich die Sache zur Zeit der Wandelung (heute des Rücktritts) befindet. Beiläufig verweist er hierbei auch auf die herrschende Meinung bzgl. des einheitlichen Erfüllungsortes bei der Wandelung. Eine inhaltliche Auseinandersetzung hiermit erfolgt jedoch nicht. Auf diese Punkt kam es in der Entscheidung auch nicht an, da der BGH sein Ergebnis unabhängig von der Entscheidung der Frage des einheitlichen Erfüllungsortes begründete. So führt er aus: „Selbst wenn man von einem für die Käufer- und die Verkäuferverpflichtungen unterschiedlichen Erfüllungsort ausgehen wollte […], wäre dies für die Rückgabe- bzw. Rücknahmeverpflichtung dennoch der Ort, an dem sich die Ware vertragsgemäß befindet“ (BGH a.a.O.).
b) Eine Anwendung von § 269 BGB in Bezug auf den Kaufpreisrückzahlungsanspruch kommt zu dem Ergebnis, dass der Leistungsort der Wohnsitz des Schuldners und damit hier des Beklagten ist.
(1) Zunächst ergibt eine Auslegung des § 269 I BGB, der gem. § 270 IV BGB auch für Geldschulden anwendbar ist, dass der Leistungsort grundsätzlich separat für jede Leistung zu bestimmen ist:
(1.1.) Der Wortlaut spricht von der „Leistung“ für welche der Erfüllungsort in §269 BGB geregelt wird. Der Gesetzgeber hat bewusst und in Kenntnis der Differenzierung nicht vom einem „Schuldverhältnis“ gesprochen (vgl Stöber NJW 06, 2661, 2662). Hieraus folgt, dass für jede Leistung und spiegelbildlich für jeden Anspruch aus einem Schuldverhältnis der Leistungsort separat bestimmt werden soll.
(1.2.) Auch der Wille des Gesetzgebers stützt die Auslegung, dass der Erfüllungsort separat für jede Leistung zu bestimmen ist. Der deutsche Gesetzgeber hat trotz mehrerer ZPO-Novellen davon abgesehen, für die innerstaatliche Zuständigkeit einen besonderen Gerichtsstand am Ort der Erbringung der vertragscharakteristischen Leistung einzuführen, wie er in Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO für die internationale Zuständigkeit vorgesehen ist (Stöber NJW 06, 2661, 2662). Daraus folgt, dass der Gesetzgeber in Kenntnis der Möglichkeit einen einheitlichen Erfüllungsort für die charakteristische Leistung zu bestimmen, davon abgesehen hat.
(1.3.) Dieses Ergebnis lässt sich systematisch auch mit § 48 Ia ArbGG stützen. Dort wurde zum 1.4.08 ein einheitlicher Erfüllungsort am gewöhnlichen Arbeitsort für Ansprüche (auch Zahlungsansprüche) aus einem Arbeitsverhältnis eingeführt. Im Umkehrschluss lässt sich aus dieser Neu-Regelung ableiten, dass der Gesetzgeber, wenn er einen einheitlichen Gerichtsstand für notwendig erachtet, diesen gesetzlich festschreibt. Im Grundsatz ist daher stets von der getrennten Betrachtung der einzelnen Ansprüche auszugehen.
(2) Eine Anwendung von § 269 BGB auf den Rückzahlungsanspruch führt hier zum Ergebnis eines Leistungsortes am Wohnsitz des Schuldners, hier des Beklagten.
(2.1.) Die Parteien haben den Leistungsort nicht ausdrücklich vereinbart.
(2.2.) Auch aus den Umständen, insbesondere der Natur des Schuldverhältnisses ergibt sich hier kein anderer Leistungsort der Rückzahlungsverpflichtung.
Der Begriff der Umstände, insbesondere die Natur des Schuldverhältnisses, ist ein unbestimmter und ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriff. Zur Konkretisierung ist neben den besonderen Umständen des Einzelfalles „vor allem die Verkehrssitte (§ 157 BGB) sowie Handelsbräuche zu berücksichtigen. Auch die Art der Leistung (Ausbesserungsarbeiten an einem Gebäude können z.B. nur am Standort dieses Gebäudes ausgeführt werden) sowie örtliche Gepflogenheiten und andere vertragsspezifische Merkmale gehören zu den Umständen, die bedacht werden müssen“ (MüKo § 269 BGB Rn. 18). Auf den Schwerpunkt eines Vertragsverhältnisses kann nur dann als maßgebliches Indiz zurückgegriffen werden, wenn „über die vertragstypische Leistung hinaus weitere Umstände festgestellt werden, die einen Schwerpunkt begründen können. Denn andernfalls läge bei praktisch jedem Vertragstyp ein einheitlicher Erfüllungsort auch für die untypische Zahlungspflicht vor“ (Staudinger § 269 BGB Rn. 20 mit Verweis auf BGH 24. 1. 2007, XXII 168/04).
Unter Anwendung dieser Grundsätze bleibt es bzgl. des Kaufpreisrückzahlungsanspruches dabei, dass sich aus den Umständen hier keine vorrangige Bestimmung des Leistungsortes ergibt. Es sind keine vertragsspezifischen Merkmale vorhanden, die die Bestimmung eines Leistungsortes rechtfertigen würden. Alle von den Vertretern der oben dargestellten überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur angeführten Aspekte können im Zusammenhang mit §§ 29 ZPO, 269 BGB keine Berücksichtigung finden:
Die Zug-um-Zug-Verknüpfung gem. § 348 BGB der Rückzahlungspflicht des Verkäufers mit der Rückgabe- und Übereignungspflicht des Käufers stellt keinen besonderen Umstand dar, der einen gemeinsamen Erfüllungsort dieser beiden Pflichten begründen könnte. Die Verknüpfung ist nämlich keine Besonderheit des Kaufvertrages, sondern gilt gem. §320 BGB allgemein für alle gegenseitigen Verträge. Würde man diesen Umstand genügen lassen, müsste konsequent bei allen Zug-um-Zug-Verknüpfungen ein einheitlicher Leistungsort der verknüpften Pflichten annehmen. Das wird soweit ersichtlich aber von keinem vertreten (vgl. Palandt-Heinrichs, 66. Auflage, § 269 Rn. 13 m. w. N). Auch würde sich eine derartige Schlussfolgerung in Widerspruch zum Hintergrund des § 269 I 2. Alt (aus den Umständen, insbesondere der Natur des Schuldverhältnisses) BGB setzen. Diese Alternative soll im Sinne einer ergänzenden Auslegung der Parteivereinbarung individuelle Besonderheiten eines Schuldverhältnisses berücksichtigen können. Der Rückgriff auf gesetzlich für diese Vertragstypen allgemein angeordnete Rechtsfolgen verbietet sich damit, da es keine individuellen Besonderheiten gerade des streitigen Schuldverhältnisses sind. Zudem hätte der Gesetzgeber, wenn er diese Konsequenz mit der Einführung von § 320 BGB bezwecken wollte, eine entsprechende Regelung einführen können.
Daneben verweisen Anhänger dieser Meinungsgruppe teilweise auf das Vertretenmüssen des Verkäufers als Umstand, der es rechtfertigen würde, den Leistungsort am Sitz des Käufers zu begründen (vgl. die Nachweise bei Stöber NJW 06, 2661, 2664, FN.46). Dieser Umstand überzeugt in Bezug auf den Rücktritt schon deswegen nicht, weil dieser nach neuem Recht nicht vom Vertretenmüssen des Verkäufers abhängig ist. In Bezug auf die zivilprozessuale Konsequenz würde eine solche Annahme auch zu einer antizipierten Bestrafung des Verkäufers, in Form eines beim Käufer liegenden Gerichtsstandes, führen, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch nicht feststeht, ob ein Mangel vorliegt, geschweige denn eine Verantwortlichkeit des Verkäufers nachgewiesen ist (so auch LG Krefeld MDR 1977, 1018).
Weiter wird teilweise auf die Schutzbedürftigkeit des Käufers rekurriert. Diese Argumentation überzeugt zunächst aus den gleichen Gründen wie eben nicht, da zu diesem Zeitpunkt noch nicht feststeht, ob der Käufer überhaupt des Schutzes bedarf bzw. nicht vielmehr wegen einer unbegründeten Klage der Beklagte des Schutzes bedurft hätte. Des Weiteren ist gerade im Rahmen der Zuständigkeitsnormen eine umgekehrte Schutzwürdigkeit der gesetzgeberische Grundsatz. Hier soll der Beklagte grundsätzlich den Vorteil genießen, an seinem Wohnsitz oder Geschäftssitz verklagt zu werden (vgl. die Wertung von §§ 13, 17 ZPO; so auch Stöber NJW 06, 2661, 2664). Diese Wertung würde gefährdet, würde auf dem Weg des § 29 ZPO iVm. § 269 BGB eine anderslautende antizipierte Schutzbedürftigkeitsüberlegung eingeführt.
Schließlich wird zum Teil auch auf die Ortsnähe, insbesondere mit Blick auf eine potentielle Beweisaufnahme über die behaupteten Mängel, abgestellt. Würde man diesen Gesichtspunkt im Rahmen von § 29 ZPO iVm. §269 BGB akzeptieren, würde der Wille des Gesetzgebers, der nur in bestimmten Fällen, z.B. § 29a ZPO, Ausnahmen vom Grundsatz actor sequitor forum rei zulässt, umgangen. Würde über § 29 ZPO die Praktikabilität bzgl. einer Beweisaufnahme nutzbar, würde grundsätzlich entgegen der grundlegenden Wertung der §§ 13, 17 ZPO der Ort für den Gerichtsstand entscheidend sein, an welchem sich das Objekt befindet, das potentiell in Augenschein genommen oder sachverständlich untersucht werden muss.
Vor diesem Hintergrund sind keine Umstände ersichtlich, die hier einen besonderen Leistungsort festlegen könnten. Es verbleibt damit bei der gesetzlichen Anordnung, dass im Zweifel dann der Wohnsitz bzw. die Niederlassung des Schuldners entscheidend ist. Dies ist hier nicht Hechingen, sondern Stuttgart.
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.