LG Berlin – Az.: 22 O 252/11 – Urteil vom 16.03.2012
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.
Tatbestand
Der Kläger kaufte am 21. Mai 2010 von der Beklagten den gebrauchten PKW Marke Opel Corsa, amtl. Kennzeichen …, Fahrgestellnummer …, Erstzulassung 1. April 2005. Der Kaufpreis betrug 6.000,00 EUR und wurde am selben Tage bei Übergabe des Wagens entrichtet. Der Tachostand betrug 82.900 km.
Im Sommer 2010 wurde der Beklagten vom Kläger ein Schaden am Wagen angezeigt und sie zur Reparatur aufgefordert. Da die Beklagte dem nicht nachkam, wurde ihr mit anwaltlichem Schreiben eine Nachfrist bis zum 30. September 2010 gesetzt. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 28. September 2010 ab. Der Kläger ließ ein Sachverständigengutachten der … Automobil GmbH erstellen (Anlage K 7). Mit Schreiben vom 24. November 2010 erklärte der Kläger den Rücktritt vom Kaufvertrag und verlangte Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Wagens.
Später entschied sich der Kläger dafür, den Wagen zu behalten. Er ließ ihn dann in der Autowerkstatt Wendt reparieren; dafür wurden brutto 4.646,72 EUR berechnet. Die im Zuge der Reparatur ausgebauten Teile sind nicht mehr vorhanden, Fotos von ihnen, die von der Werkstatt Wendt gefertigt worden sein sollen, ebenfalls nicht mehr.
Der Kläger macht mit der Klage geltend:
– Ersatz der tatsächlichen Reparaturkosten: 4.646,72 EUR,
– Ersatz von Kosten der Untersuchung in der Werkstatt K.: 138,34 EUR,
– Nutzungsausfallentschädigung (zunächst nur für 90 Tage ab dem 2. Juli 2010, also 90 x 35,00 EUR): 3.150,00 EUR
– Freistellung wegen vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten: 603,93 EUR,
– Feststellung wegen Kosten des Gutachtens der ….
Der Kläger trägt vor: Der Wagen sei von ihm bzw. seiner Tochter Nicole benutzt und es seien damit ca. 2.000 Kilometer zurückgelegt worden. Die Kontrolllampen hätten einwandfrei funktioniert, Anzeichen z.B. für einen zu niedrigen Stand des Kühlwassers habe es nicht gegeben. Am 2. Juli 2010 sei es, als seien Tochter sich auf der Fahrt von Dessau nach Berlin befunden habe, zu einem Motorschaden gekommen. Der Motor sei während der Fahrt ausgegangen und habe sich nicht wieder anstellen lassen; der Wagen habe abgeschleppt werden müssen. In der Autowerkstatt K. sei als Ursache ein Kühlwasserverlust festgestellt worden. Nach dem …-Gutachten stehe fest: Der wagen habe schon bei der Übergabe im Mai 2010 einen Mangel aufgewiesen: Der untere Kunststoffstutzen am Thermostatgehäuse zur Kühlflüssigkeitsversorgung des Motors sei bereits vorgeschädigt gewesen; an einer Bruchstelle dieses Stutzens sei es zu Kühlflüssigkeitsverlust gekommen; schließlich sei es zu einem Komplettabriss des Stutzens gekommen; die Folge sei ein Überhitzen des Motors aufgrund Kühlflüssigkeitsmangels gewesen. Dieser Verlust habe vom Fahrer nicht bemerkt werden können: Der Temperaturanzeiger habe infolge des Flüssigkeitsverlustes in der Luft gehangen und die Luft- statt der Kühlwassertemperatur gemessen und möglicherweise dem Fahrer eine nicht kritische Anzeige suggeriert (Kühlflüssigkeitsanzeige am Behälter unstreitig nicht vorhanden). Der Nutzungsausfallschaden betrage pro Tag 35,00 EUR:
Der Kläger hat die Klage im Klageantrag zu 1) in Höhe von 449,09 EUR zurückgenommen und beantragt nun,
1) die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.646,72 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (Klagezustellung: 27. Juli 2011) zu zahlen,
2) die Beklagte zu verurteilen, an ihn 138,34 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4.12.2010 zu zahlen,
3) die Beklagte zu verurteilen, an ihn vorläufig 3.150,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,
4) die Beklagte zu verurteilen, ihn von den seinen Prozessbevollmächtigten zustehenden Kosten für die außergerichtliche Rechtsverfolgung in Höhe von 603,93 EUR freizustellen,
5) festzustellen, dass die Beklagte zur Zahlung der noch näher zu beziffernden Kosten für das Sachverständigengutachten der … Automobil GmbH an die Rechtsschutzversicherung des Klägers, die … Rechtsschutz-Service GmbH, … , … Berlin, Schadennummer: …, verpflichtet ist.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor: Mit einem Mangel, wie von Klägerseite behauptet, hätte der Wagen nicht 1.500 oder auch 2.000 Kilometer weit gefahren werden können. Es könne sich nur um Verschleiß gehandelt haben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche gegenüber der Beklagten nicht zu.
Voraussetzung all dieser Ansprüche wäre jeweils, dass die Beklagte als Verkäuferin (§ 433 BGB) für einen Sachmangel des Wagens nach §§ 434 Absatz 1 Satz 2, 437 Nr. 3 BGB auf Schadensersatz zu haften hätte.
Es steht aber nicht fest, dass der Wagen zum maßgeblichen Zeitpunkt einen Sachmangel aufgewiesen hat, nämlich zum Zeitpunkt der Übergabe an den Kläger am 21. Mai 2010 (vgl. § 434 Absatz 1 Satz 1 BGB). Das gilt auch dann, wenn unterstellt wird, dass der Wagen wegen der behaupteten Ursachenkette Stutzenabriss-Kühlwasserverlust-Motorschaden seit dem Juli 2010 nicht mehr fahrfähig war. Die Vermutung des § 476 BGB greift nicht zugunsten des Klägers ein: Nach dieser Vorschrift wird, wenn sich innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang ein Sachmangel zeigt, vermutet, dass die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war. Zwar wäre die Sechs-Monats-Frist, die ab dem 21. Mai 2010 lief, im Juli 2010 nicht abgelaufen gewesen. Weitere Voraussetzung ist jedoch, dass es sich tatsächlich um einen Sachmangel handelt. Dafür darf es sich bei der betreffenden Erscheinung nicht um normalen Verschleiß handeln. Normaler Verschleiß stellt bei einem Gebrauchtwagen in der Regel keinen Sachmangel dar (vgl. BGH NJW 2006, 434). Dass ein technischer Defekt auch ein Sachmangel sei, wird nicht nach § 476 BGB vermutet, sondern muss feststehen bzw. bewiesen werden.
Das allmähliche Aufbrechen eines Kunststoffstutzens kann ebensowohl Verschleiß wie ein echter Sachmangel sein. Dabei ist letzteres im vorliegenden Falle nicht einmal wahrscheinlicher als dass Verschleiß zum Riss und Abriss des Stutzens geführt hat: Der Wagen war rund fünf Jahre alt, als der Kläger ihn erwarb, und mit ihm waren mehr als 80.000 Kilometer zurückgelegt worden. Zudem sind mit dem Wagen nach dem Erwerb tatsächlich rund 1.900 km gefahren worden, weil die Rechnung der Werkstatt K. vom 6. Juli 2010 einen km-Stand von 84.798 ausweist. Ohne Kühlwasser -das ist unter den Parteien auch unstreitig- hätte diese Strecke nicht gefahren werden können. Der Komplettabriss muss also nach dem 21. Mai 2010 geschehen sein. Ob der Stutzen am 21. Mai 2010 bereits angerissen war, kann nicht mehr festgestellt werden. Denn die betreffenden Teile sind nicht mehr vorhanden; ein Sachverständiger kann sie nicht mehr untersuchen. Sogar der Sachverständige der …, der diese Teile im Herbst 2010 selber noch gesehen und untersucht hat, kam nur zu dem Schluss: „Eine eindeutige Aussage, ob der Schaden an dem Stutzen, welcher letztendlich zum Motorschaden geführt hat, bereits bei Übergabe des Fahrzeuges vorlag oder erst im weiteren Betrieb angelegt wurde, war nicht klärbar.“ (Gutachten Anlage K 7, Seite 2)
Es kam hier nicht in Frage, einem Sachverständigen zur Klärung eben dieser Frage die Fotos aus dem …-Gutachten vorzulegen, vor allem die dortigen Fotos Nr. 12 und Nr. 13. Zum einen kann anhand der Fotos ohne Untersuchung keine verlässliche Aussage getroffen werden. Selbst wenn ein Sachverständiger zu einem bestimmten Ergebnis käme, wäre nicht auszuschließen, dass eine Untersuchung der Teile ein anderes Ergebnis erbrächte; diesen Gegenbeweis hat der Kläger der Beklagten angeschnitten, als er den Wagen reparieren ließ, ohne dafür Sorge zu tragen, dass die Teile aufbewahrt werden.
Die Rechtsfrage, ob ein Käufer von einem Rücktritt, sollte dieser wirksam sein, wieder abrücken darf, um die gekaufte Sache zu behalten und lediglich Schadensersatz zu reklamieren, braucht nicht behandelt zu werden, da über die Klage unabhängig davon entschieden werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 269 Absatz 3 Satz 2 ZPO, die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.